"Schön!" - Fragen an eine gendergerechte Tanzvermittlung - Vortrag bei "Tanz - Gender - Sport" der 7. Fachtagung "Tanz in der Kindheit"

Aktivität: Gastvorträge oder -vorlesungenGastvorträgeForschung

Beschreibung

Positive Emotionen in Tanz und Tanzvermittlung werden von Praktiker*innen diverser Tanzkulturen als „schön“ bezeichnet. Schön bezieht sich dabei zum einen auf wohltuende und angenehme Empfindungen von Tänzer*innen im eigenen Bewegungsvollzug. Eine zweite Bedeutungsdimension von „Schön“ sind angenehme Empfindungen von Zuschauer*innen in deren Augen Tanz anziehend, wohlgefällig, reizvoll, ansprechend und bewundernswert wirkt. Schöne Emotionen in Tanz und Tanzvermittlung umfassen nicht nur das, was während des eigenen tänzerischen Bewegungsvollzugs oder bei der Betrachtung von Tanz als stimmig empfunden wird. Tanzpraktiker*innen erleben subjektiv auch das als schön, was sie für objektiv gut und richtig halten.
Wer empfindet schöne angenehme Emotionen, wer verkörpert Schönheit, auf welche Art verbindet sich die Verkörperung von Schönheit mit schönen Empfindungen und wer bestimmt, was als schön und richtig zu empfinden ist, das sind die Fragen zu Trennlinien von Schönheitspraktiken in diversen Tanzkulturen. Historisch sind Genderungleichheiten eng mit dem Schönsein und dem Schönheitsempfinden verwoben.
(Emotions-)praxeologische Betrachtungen zeichnen interne Fallstricke von tanzspezifischen Schönseinslogiken für eine gendergerechte und bildungsverantwortliche Tanzvermittlung. Gleichzeitig offenbaren sich praktische Logiken, die solche Fallstricke überwinden. Emotionspraxeologische Untersuchung von Schönsein und Schönheitsempfinden in diversen Tanzkulturen
Von gottähnlicher, absolutistischer Schönheit des klassischen Tanzes, sylphidenhafter Schönheit romantischer Ballerinen, disziplinierter Schönheit über die Schmerzgrenzen hinweg im Ballettsaal, folgsam glücklich-lächelnden Ballerinenprinzessinnen, leidenschaftlichem beautiful burn in ballettinspirierten Fitnessprogrammen für erwachsene Laien, der schönen lächelnden Weinkönigin als touristischer Marketingstrategie über das schöne Gemeinschaftserleben insbesondere im Volkstanz bis hin zu feurigen und fabelhaften Schönheitsutopien der Voguing-Community, die sich letztlich vom Schön befreit und damit zum Sein ermächtigt wird Schön in verschiedenen Tanzkulturen und -praktiken unterschiedlich vollzogen. Der Vortrag „Schön!“ zeichnet Schönseinspraktiken in diversen Tanzkulturen nach und reflektiert praktische Logiken kulturspezifisch und vergleichend.
Dazu wurde ein tanzspezifisches Forschungsinstrument entwickelt welches zum einen emotives Tun in Diskursen und in Verbindung damit bewegungssensibel, tanzspezifische Situationen erfasst. Wie in praxeologischen Ansätzen üblich werden Daten aus Beobachtungen und Befragen berücksichtigt. Die hier vorgestellte Analyse berücksichtigt einen Datenkorpus aus 87 Einzel- und 24 Gruppeninterviews, 75 schriftlichen Befragungen mit offenen Fragen, 21 Beobachtungsprotokollen und 5 Feldnotizen. Insgesamt sind dabei die Perspektiven von 248 Personen integriert, davon 15% Erwachsene, 39% jugendliche Erwachsene insbesondere Studierende, 32 % Mittel- und Oberstufen-, 12% Mittelstufen- und 2% Grundschüler*innen. Darunter sind 220 Tänzer*innen, 19 Tanzvermittler*innen und 13 Forscher*innen, die auch selbst in den von ihnen untersuchten Praktiken als Tänzer*innen aktiv waren. Insgesamt Daten aus dem zeitgenössischen Kontext (aus Tanz-in-Schulen-Projekten, fähigkeitsgemischten bzw. inklusiven Tanzpraxen, Tanz im schulischen Regelunterricht und im Sportstudium sowie Tanztheater) werden im Sample kontrastiert mit Daten aus urbanem Tanzpraxen unterschiedlicher Stile und Kulturen (Whaacking, Voguing, Ragga Dancehall, Popping, HipHop und Breaking). Berücksichtigt wurden darüber hinaus diasporische, heimische und interkulturelle Volkstanzpraxen insbesondere von Pontosgriechen , Eifelwinzer*innen und ehemaligen Sportstudent*innen. Zuletzt fließen einige Interviews und Beobachtungsprotokolle aus Tanzfitnesspraxen (Zumba und Les Mills Barre) und aus dem Tanzsport, insbesondere dem Standard und Lateintanz ein. Die untersuchten Tanzpraxen waren verankert in Verein, Schule, Studium, freier kultureller Jugendbildung und kommerziellen Tanz- oder Fitnessstudios.
Die Auswertung der Daten erfolgt in vier Schritten. Deduktiv werden Emotionen im Allgemeinen und positive Basisemotionen (Freude & Glück) kodiert. „Schön“ ist einer von verschiedenen In-Vivo-Codes, die anschließend als spezifische Unterkategorien von positiven Emotionen im Tanz am Material entwickelt werden. Axial kodiert werden anschließend Praktiken von Schönsein und Schönheitsempfinden. Berücksichtigt werden hier alle tanzspezifischen Praxisbestandteile. Praxisspezifisch gehört zum Schönsein und Schönheitsempfinden auf Bewegungsebene beispielsweise Lächeln, Leichtigkeit, fließende Bewegungsqualitäten, Spitzentanz, symmetrische Formationen und Raumwege, Gehen mit Hüftschwung wie ein Model mit winkelartig abgespreitzten Händen und Armen, etc. Es entstehen tanzkulturspezifische Praxeographien von Schön in der Differenzierung von Praxisbestandteilen (Bewegung, Kleidung, Räumliche Settings, Musik, Licht) und ihrer Beschreibung in den Begriffen (strahlend ,elfenhaft, fabulös, …) die für die Schönheitsdiskurse in den verschiedenen Tanzkulturen typisch sind. In einem nächsten erneut axialen Kodierschritt werden die Schönheitslogiken verschiedener Tanzpraktiken und -kulturen miteinander verglichen. Dabei werden auch andere empirische Forschungsarbeiten und tanztheoretische Texte berücksichtigt. Insgesamt entsteht so eine Praxeologie von Schönsein und Schönheitsempfinden im Tanz.
Ergebnisse und Tanzpädagogische Konsequenzen
Schönheit und Schönsein sind zentrale Emotionspraktiken, die viele Tanzkulturen bestimmen. Tänzer*innen und Zuschauer*innen empfinden Freude an Schönheit(en) im Tanz. Bisweilen wird die Verkörperung von Schönheit über schöne Empfindungen im Bewegungsvollzug gestellt. Schönheit im Tanz entwickelt dann bisweilen masochistische Züge. Diesbezügliche Ansätze gilt es tanzpädagogisch zu reflektieren. In diversen Tanzpraktiken z.B. im Volkstanz und insbesondere im Voguing finden sich tanzspezifische Verfahren Schönsein und ein selbstbestimmtes Recht Schönheitsnormen zu definieren bildungsverantwortlich zu vermitteln.
Zeitraum19.01.2023
Ereignistitel7. Fachtag "Tanz in der Kindheit" : Tanz - Gender - Sport
VeranstaltungstypKonferenz
OrtKöln, DeutschlandAuf Karte anzeigen
BekanntheitsgradNational