Das Leben unter extremen Bedingungen ist begleitet von einer Vielzahl an Stressoren, Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen physiologischen Stressoren (z.B. Schwerelosigkeit, fehlendes Sonnenlicht) und psychischen Stressoren (z.B. Isolation). Aus einer Vielzahl von Studien der vergangenen Jahre sind die negativen Effekte von Stress auf die mentale Gesundheit und die kognitive Leistungsfähigkeit, beides Faktoren die für den Erfolg und die Sicherheit einer Langzeitmission von Bedeutung sind, bekannt geworden.
Nichtsdestotrotz bleiben viele Fragen bezüglich der Ursachen neurokognitiver Leistungsfähigkeit unbeantwortet, was sicherlich zum Großteil, zumindest aus neurophysiologischer Sicht, auf die Schwierigkeit der Nutzung bildgebender Verfahren unter solch extremen Bedingungen zurückzuführen ist. Darüberhinaus muss die Reliabilität und Validität bisheriger Testverfahren zur Erfassung (neuro-)kognitiver Prozesse im Zuge von Langzeitmissionen neu überdacht werden. Gegenwärtig tendiert man zur Entwicklung sogenannter eingebundener (embedded) Testverfahren, also Testverfahren, die in den Rahmen operationaler Anwendungen integriert werden und damit vor allem die Compliance der untersuchten Crewmitglieder erhöhen.
Basierend auf diesen Überlegungen wird eine Serie von Experimenten durchgeführt, die sich im Rahmen der experimentellen Möglichkeiten auf der ISS an den o.g. Vorgaben orientieren. Das gegenwärtig von der russischen Besatzung auf der ISS durchgeführte ‚Soyuz Docking Manöver Training’ eignet sich hervorragend für ein solches, eingebettetes Testverfahren bei dem operationale Aspekte im Vordergrund stehen. Es soll in drei Studien untersucht werden, ob (1) mithilfe von gängigen bildgebenden Verfahren (EEG in Kombination mit quellenbasierter Elektrotomographie) neurokognitive Marker (P300) beim Docking Manöver Training abzubilden sind und diese mit der Qualität des Docking korrelieren, (2) diese Marker und die Qualität des Dockings durch Stress beeinflusst werden und (3) ein adäquates Sport- und Bewegungsprogramm etwaigen negativen Effekten entgegenwirken kann und – wie allgemein angenommen – sich positiv auf die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit auswirkt.
Die Verwendung und Weiterentwicklung aktueller Technologien, die es ermöglichen selbst unter extremen Umweltbedingungen neurokognitive Prozesse, als auch deren Abhängigkeit von Stress und adäquaten Gegenmaßnahmen abzubilden, werden es nicht nur ermöglichen die Auswirkungen von Stress auf die mentale Gesundheit besser zu verstehen und im Kontext der gegenwärtigen, gesamtgesellschaftlich hochrelevanten neurokognitiven Forschung zu verorten, sondern auch adäquate Gegenmaßnahmen zu entwickeln, die zu einer Verbesserung der Sicherheit und des Erfolgs einer Langzeitmission beitragen können.