Langzeitaufenthalte in Schwerelosigkeit stellen außergewöhnliche Herausforderungen an die menschliche Leistungsfähigkeit dar. Bislang standen die rein physiologischen Auswirkungen der Schwerelosigkeit wie Muskelschwund, Abnahme der Knochendichte und Veränderungen auf zerebraler Ebene im Vordergrund. Zunehmend im Fokus des wissenschaftlichen Interesses stehen nunmehr, da auch längerfristige Aufenthalte in Schwerelosigkeit wie beispielsweise eine Reise zum Mars geplant sind, neben den genuinen Auswirkungen veränderter Gravitationsbedingungen auch psycho-physiologische Probleme bedingt durch das eingeschränkte Umgebungsfeld sowie die soziale Isolation.
(A) Mit der geplanten Studie MARS500, die unter völliger Isolation von sechs Individuen eine Reise zum Mars simuliert, bzw. einer Isolationsstudie auf der franz./ital. Antarktisstation CONCORDIA, soll erstmals im großen Umfang die Auswirkungen längerer Isolation auf das Zusammenspiel physiologischer und psychologischer Parameter erfasst werden. Schon seit langem sind die positiven Auswirkungen regelmäßiger sportlicher Aktivität auf die allgemeine körperliche, psychische und seelische Befindlichkeit bekannt. In den letzten Jahren wurde verstärkt im Bereich der Auswirkungen von sportlicher Aktivität auf das serotonerge System geforscht (Strüder and Weicker, 2001b; Strüder and Weicker, 2001a). Das serotonerge System übernimmt komplexe neuromodulatorische Funktionen in der Anpassung von Befindlichkeit, Stimmungslage, Vigilanz und cerebraler Leistungsfähigkeit. Eine Störung des serotonergen Systems zeigt sich maßgeblich verantwortlich für die Entstehung depressiver Krankheitsbilder. Sportliche Aktivität wird hier zunehmend als Ersatz für eine medikamentöse Behandlung dieser Krankheitsformen eingesetzt. Jedoch ist noch zu wenig über die genaue Auswirkung sportlicher Aktivität auf das serotonerge System bekannt. Auch zeigen Forschungsarbeiten der letzten Jahre einen starken Einfluss körperlicher Beanspruchung auf kurz- und mittelfristige Veränderungen der elektrokortikalen Aktivität (Schneider, Mierau et al., submitted; Schneider, Brümmer et al., submitted). Diese Veränderungen wiederum korrelieren ebenfalls stark mit Parametern körperlichen und geistigen Wohlbefindens.
(B) Neben den o.g. psychosozialen Veränderungen eines längerfristigen Aufenthalts in Schwerelosigkeit stellt die schwerelose Umgebung eine zweite, nicht zu vernachlässigende Größe dar, deren Auswirkungen auf cerebrale Prozesse derzeit nur unzureichend erforscht ist. Ein erster Versuch während einer der letzten Parabelkampagnen der DLR, zeigte eine Inhibition neuronaler Aktivität im rechten Frontallappen während der Phase der Schwerelosigkeit, was auf eine starke Beteiligung emotional-assoziativer Hirnareale in veränderter Gravitation hinweißt (Abbildung 1, Schneider, Brümmer et al., submitted).
Während bildgebende Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und die Magnetresonanztomographie (MRT) aufgrund von Raum-, Kosten- und damit Effizienzgründen in der Raumfahrt kaum denkbar sind, stellt die nicht-invasive Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) eine relativ kostengünstige und selbst unter extremen Bedingungen einsetzbare Möglichkeit dar, in Echtzeit hämodynamsiche Vorgänge im Gehirn abzubilden. In Kombination mit der Elektroenzephalographie (EEG) eröffnet sich damit die Möglichkeit, neben einer tieferen Lokalisation hirnphysiologische Vorgänge, wie sie mittlerweile die niedrig auflösenden elektromagnetische Gehirntomographie (LORETA) ermöglicht, elektrokortikale Vorgänge (beispielsweise bei Gravitationswechseln) auch mit einer hohen zeitlichen Auflösung zu messen.
Die Verknüpfung beider Techniken soll es ermöglichen erstmals sowohl die Auswirkung hämodynamischer als auch elektrophysiologischer Vorgänge des Gehirns in veränderter Gravität abbilden zu können. Zuerst soll dies exemplarisch während einer Liegestudie, später dann im Rahmen eines Parabelflugs geschehen. Bei Erfolg ist geplant die Kombination beider Techniken auch während mittel- und langfristigen Aufenthalten im Weltraum einzusetzen.
(A) Innerhalb der Studie soll die Auswirkung von körperlicher Aktivität unter Zugabe von Kohlenhydraten, Tryptophan sowie Aminosäuren auf das serotonerge System unter besonderer Beachtung der Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit und die Befindlichkeit unter Isolationsbedingungen untersucht werden. Eine Aktivierung des serotonergen Systems durch körperliche Aktivität wird durch die Analyse des peripheren Markers Tryptophan und der Dichte sowie der Affinität von serotonergen Transportern und Rezeptoren auf den Blutplättchen vor und nach verschiedenen Trainingsprogrammen vorgenommen. Auswirkungen der körperlichen Belastung mit und ohne Supplementation auf die Gefühlslage, Motivation und allgemeine körperliche Befindlichkeit werden anhand eines Fragebogens erhoben. Auswirkungen der körperlichen Belastung und der Isolation auf Gefühlslage und Leistungsfähigkeit werden mithilfe des renommierten Wiener Test Systems evaluiert. Der Einsatz elektromagnetischer Gehirntomographie (LORETA) zur dreidimensionalen Lokalisation kortikozerebraler Aktivität aufgrund von EEG-Aktivität, soll helfen die Veränderungen, die sich in Motivation, Stimmungslage und Leistungsfähigkeit zeigen, auch in Veränderungen und Anpassung des Gehirns zu dokumentieren.
Beide gegenwärtigen Isolationsstudien der ESA (MARS500 und CONCORDIA) werden wir begleiten und, soweit möglich, hirnphysiologische Veränderungen langfristiger Isolation beschreiben. Wir erwarten das negativen Auswirkungen der langfristigen Isolation in Kombination mit einer reduzierten allgemeinen Abnahme körperlicher Aktivität, die unter Isolation gegeben ist, durch eine gezielte körperliche Aktivierung und Trainingssteuerung entgegengewirkt werden kann. Die Ergebnisse werden maßgeblich auch zur Entwicklung neuer und alternativer Behandlungsmethoden neurologischer Erkrankungen beitragen.
Darüber hinaus ist geplant an der Deutschen Sporthochschule Köln umfassende Untersuchungen zur Auswirkung körperlicher Aktivität auf das serotonerge System und die elektrokortikale Aktivierung durchzuführen, die im Rahmen der Isolationsstudien aufgrund Ihres Umfangs nicht realisierbar, von Seiten der ESA aber gewünscht sind.
(B) Mit Blick auf ein geplantes AO der ESA für das Jahr 2009 ist geplant, Grundlagen für die Beantragung eines Flugexperiments zu legen. Hierzu sollen bereits erhobene Daten zur Auswirkung veränderter Gravitation (Schneider, Brümmer, et al. submitted) mittels EEG und Nahinfrarotspektroskopie verifiziert werden. Geplant ist eine Kippstudie über mehrere Stunden sowie die Teilnahme an einem Parabelflug. Letzteres insbesondere um die Kombinierbarkeit beider Methoden, EEG und Nahinfrarotspektroskopie, unter veränderten Gravitationsbedingungen zu validieren.