Bewegungsförderung im Familienalltag: Untersuchung zu den familiären Rahmenbedingungen für eine aktivitätsfördernde Gestaltung des Familienalltags von Eltern mit ihren 6 bis 14-jährigen Kindern

Mirijam Buhr

Publikation: Buch/BerichtDissertationsschrift

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Abstract


Hintergrund
Die Familie als „Sozialisationsinstanz“ spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung und Verankerung von bewegungsfördernden und gesundheitsorientierten Verhaltensweisen ihrer Familienmitglieder. Um mehr über die Bewegungsaktivitäten in Familien zu erfahren und um ein zielgruppenspezifisches Konzept zur Bewegungsförderung zur erstellen, untersucht die vorliegende Arbeit die Zeitverwendung und das (Geh-) Aktivitätsverhalten im Alltag von Familien mit Kindern zwischen 6 und 14 Jahren. Hierzu wird eine Kombination subjektiver (Tagebuch) und objektiver (Pedometer) Messmethoden erprobt. Da über das Aktivitätsniveau in Familien wenig bekannt ist, wird der Ansatz der energetischen Zuordnung der erfassten Aktivitäten über das Metabolische Äquivalent (MET) hinsichtlich der Belastungsintensität verwendet.
Methodik
Zunächst wird eine explorative Querschnittserhebung zur Zeitverwendung und Gehaktivität im natürlichen Lebensumfeld der Familien durchgeführt. Die Familienmitglieder (n=61) dokumentieren im 15-Minuten-Takt mit teil-standardisierten Tagebüchern ihren Tagesablauf. Die Erhebung läuft über 7 Tage. Gleichzeitig wird die Gehaktivität mit einem Pedometer aufgezeichnet. Anschließend nehmen die Eltern und Kinder an einer 10-wöchigen Bewegungsintervention, bestehend aus Gehwettbewerb, wöchentlichen Informations-E-Mails und zwei sportpraktischen Workshops, teil. Die Evaluation erfolgt erneut mit Tagebüchern und Schrittzählern. Die Tagebuchdaten werden anonymisiert, digitalisiert, codiert, zu einheitlichen Tätigkeitslisten zusammengefasst, mit MET-Einheiten hinterlegt und zusammen mit den Schrittzählerdaten ausgewertet.
Ergebnisse
Die Gehaktivität der Familienmitglieder (n=60) ist am Wochenende signifikant (p=0,001) niedriger als an den Werktagen. Die Väter (n=15) absolvieren werktags durchschnittlich 6.863 ± 4.796 Schritte und am Wochenende 6.101 ± 3.099 Schritte. Die Mütter (n=16) legen an den Werktagen durchschnittlich 8.227 ± 4.295 Schritte zurück. Am Wochenende sind es 6.902 ± 3.828 Schritte. Die Söhne (n=8) gehen von montags bis freitags durchschnittlich 10.574 ± 4.061 Schritte und die Töchter (n=21) 7.916 ± 3.891. Am Wochenende liegt die Gehaktivität der Söhne bei 7.372 ± 2.861 Schritten und die der Töchter bei 7.706 ± 3.630.
Eltern und Kinder verbringen durchschnittlich 5,6 h ihrer Zeit mit sitzenden Tätigkeiten. Es folgen leichte körperliche Aktivitäten mit 2,8 h. Moderate (1,2 h) bis intensive (0,1 h) körperliche Betätigungen nehmen einen geringen Umfang ein. Die Zeitverwendung für „Sport und Hobbys“ ist bei allen Familienmitgliedern außer den Söhnen niedriger als die Zeit, die mit „Mediennutzung“ verbracht wird. Ein Zusammenhang zwischen den Zeiten die Eltern und Kinder für „Sport und Hobbys“ und „Mediennutzung“ aufwenden kann nicht nachgewiesen werden. Am Wochenende wird signifikant mehr Zeit mit der „Kernfamilie“ verbracht (Wilcoxon-Test für Paardifferenzen). Gemeinsame Familienzeiten sind in absteigender Reihenfolge geprägt von Tätigkeiten aus dem „persönlichen Bereich“ (werktags 1,64 ± 1,73 h; wochenends 1,95 ± 2,03 h), „Haushalt und Familie“ (werktags 1,06 ± 1,14 h; wochenends 1,48 ± 1,21 h), „Mediennutzung“ (werktags 0,53 ± 0,62 h; wochenends 0,91 ± 0,83 h) und „Sport und Hobbys“ (werktags 0,11 ± 0,16 h; wochenends 0,52 ± 0,51 h). Gemeinsame (Bewegungs-) Aktivitäten aller Familienmitglieder finden bei 7 der 16 Familien am Wochenende statt. Die Mütter verbringen mit durchschnittlich 3,17 ± 1,68 h täglich mehr Zeit mit den Kindern allein als die Väter mit 1,00 ± 0,82 h. Die Schrittzahlen und Kontaktzeiten der Familienmitglieder können durch die Bewegungsintervention nicht erhöht werden.
Diskussion und Schlussfolgerung
Die vorliegende Arbeit zeigt auf, dass die Tagebuchmethode in Kombination mit einem Aktivitätstracking eine aufwändige, aber geeignete Methode darstellt, um Familienaktivitäten zu erforschen und die Intensität der Belastung zu beurteilen.
Die durchgeführte Basisdatenerhebung bringt neue Erkenntnisse darüber, wieviel Zeit Eltern und Kinder im Wochenverlauf miteinander verbringen, welche Tätigkeiten sie gemeinsam durchführen, wie viele Schritte sie in ihrem Alltag gehen und wie hoch ihr Aktivitätsniveau ist. Starke innerfamiliäre Schwankungen machen deutlich, dass die Zusammenhänge zwischen dem Aktivitätsverhalten von Eltern und Kindern komplex sind und durch viele unterschiedliche Faktoren bestimmt werden. Die Ergebnisse zeigen den Bedarf zur Förderung gemeinsamer familiärer Bewegungsaktivitäten auf. Dieses gewonnene Wissen lässt sich nutzen, um praxisnahe und zielgruppenspezifische Lösungsansätze zur Bewegungsförderung von Familien zu erarbeiten. Insbesondere die Wochenenden bieten zeitliche Potentiale zur Aktivitätssteigerung aller Familienmitglieder. Das Probandenfeedback und die konstante Teilnahme der Familien zeigt die Akzeptanz und das Interesse an Interventionen zur Bewegungsförderung.
Forschungsbedarf
Weitere Studien sollten das entwickelte Konzept zur Bewegungs- und Interaktionsförderung von Familien unter Berücksichtigung des Einflusses durch die verschiedenen Jahreszeiten sowie der herausgearbeiteten Optimierungen erneut erproben. Es gilt, die Aktivitätsziele für alle Familienmitglieder zu individualisieren und mit ihnen gemeinsam zu erarbeiten, die Kinder zum „Team-Captain“ des Gehwettbewerbs zu machen, regelmäßige angeleitete Bewegungseinheiten für die Familien anzubieten, die Informationsvermittlung auch kindgerecht aufzubereiten und durch ein Wissensquiz die Familienmitglieder aktiv mit einzubeziehen sowie die Medienzeiten zu reduzieren.
Es bleibt offen, was die Auslöser für bewegungsfördernde und -hemmende Familienaktivitäten sind und wie man diese zielgerichtet beeinflussen kann. Um den Zusammenhang zwischen dem Aktivitätsverhalten von Eltern und Kindern immer besser zu verstehen, sollten zukünftige Arbeiten darauf abzielen die unterschiedlichen Einflussfaktoren zu gewichten. Die angewendete Untersuchungsmethodik sollte vor dem Hintergrund aktueller technischer Möglichkeiten als Ambulatory Assessment weiterentwickelt werden.
OriginalspracheDeutsch
ErscheinungsortKöln
VerlagDeutsche Sporthochschule Köln
Seitenumfang298
PublikationsstatusVeröffentlicht - 2021

Zitation