Abstract
Die standardisierte Erfassung und Dokumentation therapeutischen Reitens und pferdegestützter Therapie sowie die Systematisierung und der Vergleich von Therapieergebnissen stellen im wis-senschaftlichen Fachdiskurs derzeit noch immer eine Herausforderung dar, obwohl die Thera-pien in der anwendungsorientierten Praxis bereits eine langjährige Tradition haben. In diesem Zusammenhang eignete sich die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) in den vorliegenden Studien als Rahmenwerk zur Erstellung eines standar-disierten ICF-basierten Assessment-Tools zur Erfassung des funktionalen Gesundheitszustands einer Person vor dem Hintergrund motorischer, mentaler und psychosozialer Aspekte. Zur Ent-wicklung und Validierung dieses Assessment-Tools wurden vier Studien durchgeführt, die nach-folgend einzeln zusammengefasst werden:
In Studie I wurde ein ICF-basiertes Pilot-Instrument zur Untersuchung des Einflusses heilpädago-gischer Förderung mit dem Pferd auf Kinder mit dem Förderbedarf Emotional-soziale Entwick-lung im Rahmen einer kontrollierten Studie in Form eines Kontrollgruppen-Warte-Designs über ein Schuljahr in der therapeutischen Praxis erprobt (N=53). Die Ergebnisse zeigten, dass sich die ICF als Basis zur Erstellung eines Assessment-Tools für das Therapeutische Reiten eignete (In-dexbildung, Items bildeten mindestens 35 % der Hintergrundvariable „Psychosoziale Entwick-lung“ ab, die interne Konsistenz war bei 19 Testitems hoch (α=0.88), die Beurteilungshomogenität nahm im Zeitverlauf zu). Im Hinblick auf Therapieeffekte zeigten sich positive „Gruppeneffekte“ (p=.003, r=0.55*) sowie eine Steigerung der psychosozialen Funktionsfähigkeit im Hinblick auf Therapeut*in und Pferd (Pearson p< 0.05, Effektstärken Pferd (r=0.49**), Therapeut*in (r=0.42**). In seiner Nutzung stellte es sich zudem als ökonomisch und zweckmäßig heraus.
Studie II fokussierte nachfolgend einen qualitativen Studienansatz zur Konzeption eines modul-arisierten Assessment-Tools für therapeutisches Reiten sowie drei Submodule für die heilpäda-gogische Förderung im Einzel- (HFPE) und Gruppensetting (HFPG) sowie die Hippotherapie als physiotherapeutische Maßnahme mit Nutzung des Pferdes. In dieser explorativen Studie wurden als Beitrag zur Theoriebildung auf der Grundlage von vier Fokusgruppen mit insgesamt 17 Ex-pert*innen aus verschiedenen Disziplinen therapeutischen Reitens mittels qualitativer Inhaltsana-lysen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Therapieformen herausgearbeitet und analysiert. Um eine valide Ergebnismessung in den nachfolgenden Studien sicherzustellen, wurden in der Analyse Inhalte, Methoden und intendierte Therapieziele vertiefend in den Blick genommen so-wie Terminologien und Begrifflichkeiten ausgeschärft. Die gewonnenen qualitativen Ergebnisse weisen darauf hin, dass Therapieprozesse der verschiedenen Subdisziplinen auf gemeinsamen bewegungstherapeutischen Prinzipien wie dem Bewegungsdialog und einem Beziehungsdreieck zwischen Therapeut*in, Patient*in und Pferd beruhen und auf Basis divergierender Therapie-schulen weiterführend differenzierte Zielstellung verfolgen.
In Studie III wurden die qualitativen Ergebnisse der Studie II anhand eines Mixed-Methods-Studiendesigns mittels inhaltlich strukturierender Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) ausgewer-tet und ein Abgleich des Kategoriensystems mit dem Klassifikationssystem der ICF durch zwei unabhängige Rater gemäß den Cieza-Linking Rules (Cieza et al., 2005; Cieza et al., 2019) vor-genommen (79,2 % Verlinkung der MAXQDA-Codes auf ICF-Ebene). Nach Überprüfung der Rater-Reliabilität durch Cohen’s Kappa wurde ein erster Testentwurf des ICF-basierten Assess-ment-Tools für therapeutisches Reiten entwickelt sowie nachfolgend mittels eines zweistufigen Ratingverfahrens durch Expert*innen der Fokusgruppen modifiziert, reduziert und nachfolgend mit insgesamt 91 Testitems im querschnittlichen Studiendesign in der therapeutischen Praxis eingesetzt (N=116). Die statistische Analyse umfasste Untersuchungen zur Dimensionalität, Kon-struktvalidität und Reliabilität. Explorative Faktorenanalysen zeigten eine hohe Varianzaufklärung im Grundmodul sowie HFPE und HFPG (über 70 %). Die Reliabilität lag für alle Module im sehr guten bis exzellenten Bereich (Spannweite α=.98-.89). Aufgrund der hohen Reliabilitäten konnte das Assessment-Tool nachfolgend inhaltlich weiter reduziert werden, um seine Anwendbarkeit in der therapeutischen Praxis zeitlich-ökonomisch zu verbessern.
In Studie IV erfolgte die psychometrische Prüfung und Validierung des entwickelten 80-Item-Assessment-Tools anhand eines quantitativen Studienvorgehens (N=265). Hierfür wurde das Instrument im Zeitverlauf über 15 Beurteilungswochen an 26 Standorten für therapeutisches Rei-ten in Deutschland in der Therapeutischen Praxis eingesetzt sowie insgesamt 876 Beurteilungen durch therapeutisches Fachpersonal in die Analysen eingeschlossen. Die Ergebnisse verdeutli-chen, dass die in Studie III identifizierte Faktorenstruktur anhand konfirmatorischer Faktorenana-lysen (KFA) bestätigt werden konnte. Auch für das Submodul Hippotherapie konnte eine zwei-faktorielle Struktur definiert werden. Die Ergebnisse zeigen zudem zufriedenstellende Modell-Fit-Statistiken und hohe Reliabilitätswerte für die Skalenstrukturen aller Modulelemente. Es wurden neben den Verfahren zur Prüfung der Konstruktvalidität und internen Konsistenz auch Verfahren der Retest- und Inter-Rater-Reliabilität sowie Sensitivität im Zeitverlauf untersucht. Insgesamt erfüllt das entwickelte Assessment-Instrument die psychometrischen Anforderungen in zufrie-denstellender Weise und kann in der therapeutischen Praxis eingesetzt werden. Es wurde im Rahmen von Studie IV auf Basis der KFA weiterführend reduziert und umfasst insgesamt 63 Items. Im Rahmen von Studie IV wurde es als digitales Assessment-Tool elektronisch aufbereitet und als Softwareprogramm für den therapeutischen Praxisgebrauch nutzbar gemacht.
Perspektivisch soll es zur standardisierten Verlaufsbeurteilung im therapeutischen Reiten einge-setzt werden, um therapiebezogene Wirkfaktoren auf Basis angemessener Stichprobenumfänge evidenzbasiert erfassen und vergleichen zu können. Durch die internationale gemeinsame Spra-che der ICF soll es Synchronisations- und Integrationsmöglichkeiten von pferdegestützten The-rapiemaßnahmen in das internationale Gesundheitssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ermöglichen und vermehrte Transparenz über Therapieverläufe und Ergebnismessungen pferdegestützter Interventionen für Kostenträger, Patient*innen und therapeutische Fachkräfte sowie multidisziplinäre Rehabilitationsteams schaffen.
In Studie I wurde ein ICF-basiertes Pilot-Instrument zur Untersuchung des Einflusses heilpädago-gischer Förderung mit dem Pferd auf Kinder mit dem Förderbedarf Emotional-soziale Entwick-lung im Rahmen einer kontrollierten Studie in Form eines Kontrollgruppen-Warte-Designs über ein Schuljahr in der therapeutischen Praxis erprobt (N=53). Die Ergebnisse zeigten, dass sich die ICF als Basis zur Erstellung eines Assessment-Tools für das Therapeutische Reiten eignete (In-dexbildung, Items bildeten mindestens 35 % der Hintergrundvariable „Psychosoziale Entwick-lung“ ab, die interne Konsistenz war bei 19 Testitems hoch (α=0.88), die Beurteilungshomogenität nahm im Zeitverlauf zu). Im Hinblick auf Therapieeffekte zeigten sich positive „Gruppeneffekte“ (p=.003, r=0.55*) sowie eine Steigerung der psychosozialen Funktionsfähigkeit im Hinblick auf Therapeut*in und Pferd (Pearson p< 0.05, Effektstärken Pferd (r=0.49**), Therapeut*in (r=0.42**). In seiner Nutzung stellte es sich zudem als ökonomisch und zweckmäßig heraus.
Studie II fokussierte nachfolgend einen qualitativen Studienansatz zur Konzeption eines modul-arisierten Assessment-Tools für therapeutisches Reiten sowie drei Submodule für die heilpäda-gogische Förderung im Einzel- (HFPE) und Gruppensetting (HFPG) sowie die Hippotherapie als physiotherapeutische Maßnahme mit Nutzung des Pferdes. In dieser explorativen Studie wurden als Beitrag zur Theoriebildung auf der Grundlage von vier Fokusgruppen mit insgesamt 17 Ex-pert*innen aus verschiedenen Disziplinen therapeutischen Reitens mittels qualitativer Inhaltsana-lysen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Therapieformen herausgearbeitet und analysiert. Um eine valide Ergebnismessung in den nachfolgenden Studien sicherzustellen, wurden in der Analyse Inhalte, Methoden und intendierte Therapieziele vertiefend in den Blick genommen so-wie Terminologien und Begrifflichkeiten ausgeschärft. Die gewonnenen qualitativen Ergebnisse weisen darauf hin, dass Therapieprozesse der verschiedenen Subdisziplinen auf gemeinsamen bewegungstherapeutischen Prinzipien wie dem Bewegungsdialog und einem Beziehungsdreieck zwischen Therapeut*in, Patient*in und Pferd beruhen und auf Basis divergierender Therapie-schulen weiterführend differenzierte Zielstellung verfolgen.
In Studie III wurden die qualitativen Ergebnisse der Studie II anhand eines Mixed-Methods-Studiendesigns mittels inhaltlich strukturierender Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) ausgewer-tet und ein Abgleich des Kategoriensystems mit dem Klassifikationssystem der ICF durch zwei unabhängige Rater gemäß den Cieza-Linking Rules (Cieza et al., 2005; Cieza et al., 2019) vor-genommen (79,2 % Verlinkung der MAXQDA-Codes auf ICF-Ebene). Nach Überprüfung der Rater-Reliabilität durch Cohen’s Kappa wurde ein erster Testentwurf des ICF-basierten Assess-ment-Tools für therapeutisches Reiten entwickelt sowie nachfolgend mittels eines zweistufigen Ratingverfahrens durch Expert*innen der Fokusgruppen modifiziert, reduziert und nachfolgend mit insgesamt 91 Testitems im querschnittlichen Studiendesign in der therapeutischen Praxis eingesetzt (N=116). Die statistische Analyse umfasste Untersuchungen zur Dimensionalität, Kon-struktvalidität und Reliabilität. Explorative Faktorenanalysen zeigten eine hohe Varianzaufklärung im Grundmodul sowie HFPE und HFPG (über 70 %). Die Reliabilität lag für alle Module im sehr guten bis exzellenten Bereich (Spannweite α=.98-.89). Aufgrund der hohen Reliabilitäten konnte das Assessment-Tool nachfolgend inhaltlich weiter reduziert werden, um seine Anwendbarkeit in der therapeutischen Praxis zeitlich-ökonomisch zu verbessern.
In Studie IV erfolgte die psychometrische Prüfung und Validierung des entwickelten 80-Item-Assessment-Tools anhand eines quantitativen Studienvorgehens (N=265). Hierfür wurde das Instrument im Zeitverlauf über 15 Beurteilungswochen an 26 Standorten für therapeutisches Rei-ten in Deutschland in der Therapeutischen Praxis eingesetzt sowie insgesamt 876 Beurteilungen durch therapeutisches Fachpersonal in die Analysen eingeschlossen. Die Ergebnisse verdeutli-chen, dass die in Studie III identifizierte Faktorenstruktur anhand konfirmatorischer Faktorenana-lysen (KFA) bestätigt werden konnte. Auch für das Submodul Hippotherapie konnte eine zwei-faktorielle Struktur definiert werden. Die Ergebnisse zeigen zudem zufriedenstellende Modell-Fit-Statistiken und hohe Reliabilitätswerte für die Skalenstrukturen aller Modulelemente. Es wurden neben den Verfahren zur Prüfung der Konstruktvalidität und internen Konsistenz auch Verfahren der Retest- und Inter-Rater-Reliabilität sowie Sensitivität im Zeitverlauf untersucht. Insgesamt erfüllt das entwickelte Assessment-Instrument die psychometrischen Anforderungen in zufrie-denstellender Weise und kann in der therapeutischen Praxis eingesetzt werden. Es wurde im Rahmen von Studie IV auf Basis der KFA weiterführend reduziert und umfasst insgesamt 63 Items. Im Rahmen von Studie IV wurde es als digitales Assessment-Tool elektronisch aufbereitet und als Softwareprogramm für den therapeutischen Praxisgebrauch nutzbar gemacht.
Perspektivisch soll es zur standardisierten Verlaufsbeurteilung im therapeutischen Reiten einge-setzt werden, um therapiebezogene Wirkfaktoren auf Basis angemessener Stichprobenumfänge evidenzbasiert erfassen und vergleichen zu können. Durch die internationale gemeinsame Spra-che der ICF soll es Synchronisations- und Integrationsmöglichkeiten von pferdegestützten The-rapiemaßnahmen in das internationale Gesundheitssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ermöglichen und vermehrte Transparenz über Therapieverläufe und Ergebnismessungen pferdegestützter Interventionen für Kostenträger, Patient*innen und therapeutische Fachkräfte sowie multidisziplinäre Rehabilitationsteams schaffen.
Titel in Übersetzung | Development and validation of an ICF-based standardized survey instrument for the assessment of motor, mental and psychosocial functioning in equine assisted therapy |
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Originalsprache | Deutsch |
Erscheinungsort | Köln |
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Verlag | Deutsche Sporthochschule Köln |
Seitenumfang | 98 |
Publikationsstatus | Veröffentlicht - 30.08.2022 |