Glaukom und Sport: Auswirkungen einer Trainingsintervention auf den intraokularen Druck bei Patienten mit medikamentös eingestelltem primären chronischen Offenwinkel- und Normaldruckglaukom

Publikation: Buch/BerichtDissertationsschrift

4602 Downloads (Pure)

Abstract

Hintergrund: Das Glaukom zählt neben der altersbedingten Makuladegeneration und der diabetischen Retinopathie in der westlichen Welt zu den häufigsten Erblindungsursachen. Beim primären chronischen Offenwinkelglaukom (POWG) und Normaldruckglaukom (NDG) stellt ein individuell zu hoher intraokularer Druck (IOD) den wichtigsten Risikofaktor der Erkrankung dar. Die langfristige IOD-Senkung ist derzeitig der klinisch entscheidende Therapieansatz. Im Rahmen einer multifaktoriellen Glaukompathogenese bedarf es in der modernen Glaukomtherapie der Berücksichtigung der weiteren Risikofaktoren. Nicht-medikamentöse, den IOD günstig beeinflussende Maßnahmen inklusive Lebensstilmodifikationen gewinnen in der Glaukomtherapie zunehmend an Bedeutung. Eine Reihe von Studien hat einen positiven, senkenden Einfluss von körperlicher Aktivität und Sport auf den intraokularen Druck bei Gesunden sowie bei Patienten mit Glaukomverdacht bzw. diagnostiziertem POWG/NDG belegt. Bei Glaukompatienten sind die IOD-senkenden Akuteffekte von körperlicher Belastung nach Absetzen der Medikation besser untersucht als unter Glaukommedikation. Zum Langzeiteffekt besteht sowohl bei Gesunden als auch bei Glaukompatienten ein erheblicher Mangel an Interventionsstudien. Aktuell weist die wissenschaftliche Datenlage keine Trainingsintervention mit medikamentös eingestellten Patienten mit POWG und NDG auf.
Zielstellung: In der vorliegenden Studie wurden die Akut- und Langzeiteffekte einer
6-monatigen Trainingsintervention auf den IOD bei Patienten mit medikamentös eingestelltem primären chronischen Offenwinkel- und Normaldruckglaukom untersucht. Zusätzlich wurde die körperliche Leistungsfähigkeit, der Blutdruck und das Lipidprofil über den Studienzeitraum betrachtet.
Methode: An der randomisierten Untersuchung nahmen insgesamt 39 Patienten mit behandeltem POWG und NDG teil. 19 Patienten der Trainingsgruppe und 18 Patienten der Kontrollgruppe beendeten die sechsmonatige Interventionsstudie. Die Patienten der Trainingsgruppe absolvierten jeweils einmal wöchentlich ein Gruppentraining und ein individuelles Fahrradergometertraining. In den Gruppenstunden wurde ein koordinatives Herzkreislauftraining (Aerobic) mit einem Ganzkörperkräftigungszirkel kombiniert. Die Kontrollgruppe führte während des Studienzeitraums kein Training durch. Für die Erfassung der akuten Wirkung von körperlicher Belastung (Akuteffekt) wurde der IOD vor und unmittelbar nach dem Gruppen- bzw. Fahrradergometertraining zu drei Messzeitpunkten (Woche 2, 14/15 und 25) innerhalb der sechsmonatigen Trainingsintervention gemessen. Die Wirkung eines kontinuierlichen Trainings auf den IOD und weitere sportwissenschaftliche/medizinische Parameter (Langzeiteffekt) wurde anhand ophthalmologischer und (sport-)medizinischer Untersuchungen erfasst. Diese wurden während des Studienzeitraumes zu drei Testzeitpunkten (vor Studienbeginn, nach drei und sechs Monaten) durchgeführt.
Ergebnisse: Die Akuteffekte des Gruppentrainings zeigten zu allen Messzeitpunkten eine nicht signifikante IOD-Senkung (akute IOD-Senkung -0,91 mmHg (-4,8 %) in Woche 2, -0,59 mmHg
(-3,2 %) in Woche 14/15 und -0,23 mmHg (-1,2 %) in Woche 25). Nach dem individuellen Fahrradergometertraining zeigten die Akuteffekte auf den IOD hingegen eine große Streubreite (von -0,82 mmHg (-4,2 %) bis 0,68 mmHg (3,3 %)). Die Werte des Ausgangs-IOD lagen bei den Messungen der Akuteffekte zwischen 18,45 mmHg und 20,73 mmHg. Die Untersuchung der Langzeiteffekte offenbarte in der Trainingsgruppe eine signifikante Senkung des Ruhe-IOD von 15,97 mmHg auf 14,81 mmHg (-1,17 mmHg bzw. -7,3 %) und des systolischen Ruhe-Blutdrucks von 121,14 mmHg auf 115,68 mmHg (-5,46 mmHg bzw. -4,5 %) nach dreimonatigem Training. Nach weiteren drei Trainingsmonaten zeigte sich ein geringer Anstieg beider Parameter, so dass nach dem gesamten Interventionszeitraum von sechs Monaten ein abgeschwächter senkender Effekt (Ruhe-IOD -0,81 mmHg (-5,0 %), systolischer Blutdruck -0,77 mmHg (-0,6 %)) resultierte. Es waren keine signifikanten Gruppenunterschiede nachweisbar. Die körperliche Leistungsfähigkeit verbesserte sich signifikant innerhalb der Trainingsgruppe und im Vergleich zur Kontrollgruppe. Eine positive, jedoch nicht signifikante Wirkung auf das Lipidprofil konnte über den Untersuchungszeitraum für die Trainingsgruppe festgestellt werden.
Zusammenfassung und Fazit: Die aufgezeigten, belastungsinduzierten IOD-Senkungen verdeutlichen die Bedeutung eines regelmäßigen und strukturierten Trainings für medikamentös eingestellte Patienten mit Offenwinkel- oder Normaldruckglaukom. Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse sowie unter Einbezug der generellen Empfehlungen für ein präventives Ausdauertraining können vorwiegend aerobe, zyklische Ausdauerbelastungen kombiniert mit Kräftigungsübungen (Organisationsform Zirkeltraining) für den POWG- und NDG-Patienten empfohlen werden. Für einen langfristigen Therapieerfolg ist eine regelmäßige Durchführung von körperlicher Aktivität und Sport unerlässlich. Die Langzeiteffekte einer begleitenden Bewegungstherapie auf die Progression der Glaukomerkrankung müssen in künftigen prospektiven Interventionsstudien bei medikamentös eingestellten Patienten mit POWG und NDG weiter untersucht werden. Das langfristige Ziel aufbauender Forschungsprojekte sollte in der flächendeckenden Implementierung von Glaukomsportgruppen als innovative, nicht-medikamentöse Therapiemaßnahme für Patienten mit POWG und NDG liegen.

Background: Glaucoma, along with macular degeneration and diabetic retinopathy, is among the most frequent causes of blindness in the Western world. In cases of primary chronic open-angle glaucoma (POAG) and normal-tension glaucoma (NTG) excessive individual intraocular pressure (IOP) represents the most significant risk factor regarding the illness. The long-term reduction of IOP currently represents the essential clinical approach. In modern glaucoma therapy the multifactorial nature of glaucoma pathogenesis requires the study of further risk factors. General non-pharmacological treatment with favourable effects on IOP, including changes to lifestyle, is becoming increasingly significant in glaucoma therapy. A series of studies has provided proof that physical activity and exercise have a positive, reductive influence on intraocular pressure among both healthy people and those with suspected glaucoma or diagnosed POAG/NTG. The acute IOP-reductive effects of exercise on glaucoma patients following the ceasing of medication treatment have been the subject of more thorough research than is the case of patients on glaucoma medication. With regard to long-term effects there is a considerable lack of intervention studies both on healthy patients and on those with glaucoma. The scientific data available currently features no physical-exercise intervention on patients with POAG and NTG on medication treatment.
Objective: This study examined the acute and long-term effects that a six-month physical-exercise intervention produced on the IOP of patients on medication with primary chronic open-angle and normal-tension glaucoma. In addition, physical performance capacity, blood pressure and lipid levels were monitored during the course of the study.
Method: 39 patients with POAG and NTG, all of them receiving treatment, participated in the random study. 19 patients in the training group and 18 patients in the control group complet-ed the six-month intervention study. Once a week each of the patients in the training group completed a group session followed by individual cycling cardio training on a separate day. During the group sessions cardio training (aerobics) was combined with circuit training for whole-body strengthening exercises. During the course of the study the control group did not take part in any physical exercise workouts. In order to survey the acute effect of physical exercise (acute effect) the IOP was measured before and immediately after the group or cycling cardio training at three measuring sessions (week 2, 14/15 and 25) within the six-month intervention study. The effect of regular exercise on the IOP and further sport-scientific/medical parameters (long-term effect) was surveyed by means of ophthalmological and (sport-) medical examinations. These were carried out at three test sessions throughout the course of the study (before the study, after three months and after six months).
Results: At all measuring sessions the acute effects of the group training showed a non-significant reduction in IOP (acute IOP reduction -0.91 mmHg (-4.8 %) in week 2, -0.59 mmHg
(-3.2 %) in week 14/15 and -0.23 mmHg (-1.2 %) in week 25). Following the individual cycling (ergometer) cardio training, however, the acute effects on IOP revealed a broad range (from -0.82 mmHg (-4.2 %) to 0.68 mmHg (3.3 %)). The measurements of the acute effects showed levels of baseline IOP of between 18.45 mmHg and 20.73 mmHg. The study of the long-term effects revealed a significant decrease in resting IOP among the training group from 15.97 mmHg to 14.81 mmHg (-1.17 mmHg, i.e. -7.3 %) and of the systolic resting blood pressure from 121.14 mmHg to 115.68 mmHg (-5.46 mmHg, i.e. -4.5 %) after three months of training. Following a further three months of training there was a slight increase of both parameters, resulting in a reduction in the decreasing effect after the entire intervention period of six months (resting IOP -0.81 mmHg (-5.0 %), systolic blood pressure -0.77 mmHg (-0.6 %)). No significant differences were detectable between the groups. The physical performance capacity improved significantly within the training group and in comparison to the control group. A positive yet non-significant effect on lipid distribution was detectable in the training group during the course of the study.
Summary and Conclusion: The observed decrease in IOP through physical exercise illustrates the significance of regular and structured training for patients with open-angle or normal-tension glaucoma who are on medication. Based on the study's results along with general
recommendations for preventive endurance training the use of predominantly aerobic, endurance exercise in combination with muscular strengthening training (organisational form: circuit training) maybe endorsed for the treatment of POAG and NTG patients. To ensure long-term treatment success regular physical activity and exercise are indispensable. The long-term effects of additional exercise therapy on the progression of the glaucoma illness will require further investigation in future prospective intervention studies on patients under medication with POAG and NTG. The objective of future research projects should lie in the comprehensive implementation of glaucoma exercise groups as innovative, non-pharmacological treatment for patients with POAG and NTG.

OriginalspracheDeutsch
ErscheinungsortKöln
VerlagDeutsche Sporthochschule Köln
Seitenumfang312
PublikationsstatusVeröffentlicht - 2013

Zitation