Laufsport und Diabetes mellitus: Akuteffekte aerober Laufbandbelastungen auf die Glukosehomöostase und weitere metabolische Parameter bei Typ-1-Diabetikern sowie Langzeiteffekte einer sechsmonatigen strukturierten Trainingsintervention auf die pharmakologische und nicht-medikamentöse Therapie bei Typ-1-und Typ-2-Diabetikern

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Abstract

Hintergrund: Positive Effekte regelmäßiger körperlicher Aktivität gelten generell als erwiesen sowohl für Typ-1- wie auch Typ-2-Diabetiker (DDG 2008, BÄK/KBV/AWMF 2013, Esefeld et al. 2015, Esefeld und Halle 2015, Predel 2015). Für den Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) zählt regelmäßige körperliche Aktivität zur Basistherapie (Colberg et al. 2010, BÄK/KBV/AWMF 2013), wohingegen das Diabetesmanagement des Typ-1-Diabetes mellitus (T1DM) primär auf die Vermeidung von Hypo-und Hyperglykämien abzielt (DDG 2008, Esefeld et al. 2015). Als Hauptursachen für die überdurchschnittlich hohe sportliche Inaktivität von Diabetikern (Plotnikoff et al. 2006, Krug et al. 2013, Bohn et al. 2015) gelten die Angst vor Hypoglykämien unter Typ-1-Diabetikern (Brazeau et al. 2008) sowie die mangelnde Motivation bzw. geringe Trainingsadhärenz unter Typ-2-Diabetikern (Colberg et al. 2010, BÄK/KBV/AWMF 2013, Rise et al. 2013, Esefeld et al.2015, Esefeld und Halle 2015, Tsasis et al. 2016). Grundvoraussetzung für eine dauerhafte und sichere Etablierung körperlicher Aktivitäten bei Patienten mit Diabetes mellitus ist daher eine Förderung der „individuelle Gesundheitskompetenz durchentsprechende Schulungsmaßnahmen und Informationen“ (Rise et al. 2013, Rudinger 2015, Predel 2015). Derzeitige Leitlinienempfehlungen und Schulungsmaßnahmen zum Diabetesmanagement bei körperlicher Aktivität basieren überwiegend auf Fahrradergometer-Belastungen; sportartspezifische muskuläre Beanspruchungen bleiben ebenso unberücksichtigt wie altersspezifische Erhebungen beiTyp-1-Diabetikern jenseits des 40. Lebensjahrs (Kraus und Latsch 2015).Der Laufsport als verbreitete Freizeit- und Breitensportaktivität ist bei Diabetikern bislang kaum untersucht. Daher sind sportartspezifische und alltagsgerechte Untersuchungen wünschenswert, um zu einer sichereren und vermehrten Teilnahme, insbesondere von Diabetikern mittleren Alters, an dieser Breitensportaktivität beizutragen (Cotter et al. 2014, Kraus und Latsch 2015).ZielstellungIn der vorliegenden Arbeit werden Akut- und Langzeiteffekte von Laufbelastungen bei Diabetikern untersucht. Im ersten Teil werden die Akuteffekte unterschiedlich intensiver aerober Laufbandbelastungen auf die Glukosehomöostase, Herzfrequenz sowie Parameter des Säure-Base-bzw. Flüssigkeitshaushaltes bei Typ-1-Diabetikern mittleren Alters verglichen, um Erkenntnisse hinsichtlich eines optimiertenDiabetesmanagements zu gewinnen. Im zweiten Teil werden Langzeiteffekte eines sechsmonatigen strukturierten Laufprogramms auf die antidiabetische Pharmakotherapie, HbA1c Wert, Körpergewicht und individuelles Fitnessgefühl beiTyp-1- und Typ-2-Diabetikern untersucht, um den Stellenwert einer dauerhaften Teilnahme an dieser Breitensportaktivität in der Therapie des Diabetes mellitus zu analysieren.MethodeTeil 1: Neun männliche lauferfahrene Typ-1-Diabetiker (Ø 53,4J.) wurden im Rahmen einer trainingsbegleitenden Untersuchung in zweitägigen Abständen während einer 60-minütigen Laufbandbelastung bei 75% der 4,0mmol Laktatschwelle (75%V4) sowie einer 30-minütigen Laufbandbelastung bei 90% der 4,0mmol Laktatschwelle (90%V4) untersucht. Das Verhalten folgender metabolischer Parameter wurde für die jeweiligen Dauerbelastungen in Ruhe sowie in Abständen von 15 Min. während einer einminütigen Pause analysiert: Blutglukosekonzentration (Glc), Laktatkonzentration (Lac), Herzfrequenz (HF), pH-Wert (pH), Hämatokrit (Hct), arterieller Kohlendioxid-Partialdruck (pCO2), Bikarbonatkonzentration (HCO3 - ), Base Excess (BE), Kaliumionenkonzentration (K+) und Natriumionenkonzentration (Na+).Teil 2: 237 unterschiedlich lauferfahrene Diabetiker (107 Typ-1-Diabetiker, Φ45,9J., 130 Typ-2- Diabetiker, Φ56,3J.) aus dem Diabetes Programm Deutschland (DPD) der Jahre 2011-2013 wurden retrospektiv untersucht. Das sechsmonatige Programm umfasste ein zweimal wöchentliches, betreutes Lauftraining (à 60-90 Minuten) mit begleitenden Informationsveranstaltungen zu verschiedenen Gesundheitsthemen.75% der Dauerläufe im Trainingsprogramm waren von geringer bis moderater, 25% von höherer Intensität. Die Trainingssteuerung der Läufer erfolgte via Herzfrequenz-Messung bzw. optische Beurteilung der Trainer. Die initiale Stoffwechseleinstellung (HbA1c Wert) der Teilnehmer war überwiegend leitlinienkonform (≤7,5%). 80,8% der Typ-2-Diabetiker standen unter antidiabetischer Pharmakotherapie, 26,2% unterInsulintherapie. Folgende Parameter wurden zu Beginn und nach sechs Monaten anhand einer Selbstauskunft der Teilnehmer ausgewertet: HbA1c Wert (%), antidiabetische Pharmakotherapie, HbA1c Wert in Relation zur antidiabetischenPharmakotherapie, Körpergewicht (kg) und subjektives Fitnessgefühl (Schulnote 1-5).ErgebnisseTeil 1: In die Gesamtauswertung gingen acht der neun Laufbelastungen bei 90%V4 und sieben der neun Laufbelastungen bei 75%V4 ein. Bei den übrigen drei Laufbelastungen zeigten sich Hinweise auf eine ketotische Stoffwechsellage, so dass die resultierenden multiplen Veränderungen der Säure- Basen-Parameter, der Laktat- sowie der Glukosekonzentration separat ausgewertet wurden. Der prozentuale Glukosekonzentrationsabfall bei 90%V4 (n=8) betrug 28,22% bzw. 47,14%(Belastungsminute 15 bzw. 30), bei 75%V4 (n=7) 10,59%, 23,77%, 31,67% bzw. 37,20%(Belastungsminute 15, 30, 45 bzw. 60). Die Unterschiede zwischen den Belastungsintensitäten waren für Belastungsminute 15 (p=0,004) und 30 (p=0,006) signifikant. Der steady-state Laktatwert lag für 90%V4 im Vergleich zu 75%V4 bei Belastungsminute 15 (p=0,006) bzw. 30 (p=0,021) signifikant höher, wobei alle gemessenen Werte unterhalb der 4,0mmol Laktatschwelle lagen. Auch die steady-state Herzfrequenz war für Belastungsminute 15 (p=0,001) bzw.30 (p=0,001) signifikant höher. Für pH-Wert, pCO2, HCO3 -, BE, Hct, K+- und Na+ zeigten sich tendenziell stärkere, nicht signifikante Effekte bei 90%V4 als bei 75%V4.Teil 2: Nach der sechsmonatigen Trainingsintervention zeigten sich sowohl bei Typ-1- wie auch bei Typ-2-Diabetikern signifikante Verbesserungen für HbA1c Wert (T1DM: -0,17±0,50%, p=0,001; T2DM: -0,36±0,91%, p=0,001), Körpergewicht (T1DM: -1,4±3,1kg, p<0,001; T2DM: -1,7±3,4kg, p<0,001) und subjektives Fitnessgefühl (T1DM: Schulnotenverbesserung 0,5±1,0, p<0,001; T2DM: 0,9±1,1, p<0,001).Jeweils 91% der HbA1c Reduktionen erfolgte ohne gleichzeitige Erhöhung der Pharmakotherapie. Für die Gruppen mit wenig, vorhandener bzw. langjähriger Lauferfahrung zeigten sich vergleichbare HbA1c Werte sowohl zu Untersuchungsbeginn wie auch nach sechs Monaten (p>0,05).Die antidiabetische Pharmakotherapie konnte bei jeweils etwa einem Drittel der Teilnehmer reduziert werden, 11,0% der Typ-2-Diabetiker konnte im Laufe der Trainingsintervention ein antidiabetisches Arzneimittel absetzten. Der Anteil der Typ-2-Diabetiker ohne antidiabetische Pharmakotherapie stieg von initial 19,2% auf 23,1% nach der Intervention an.Zusammenfassung und FazitDurch die strukturierte sechsmonatige Trainingsintervention im Rahmen des DPD zeigten sich bei Typ-1- wie auch bei Typ-2-Diabetikern signifikante Verbesserungen von HbA1c Wert, Körpergewicht sowie subjektivem Fitnessgefühl. Gleichzeitig konnte die antidiabetische Pharmakotherapie überwiegend stabilisiert bzw. reduziert werden. Auch Diabetiker mit initial guter Stoffwechseleinstellung bzw. umfangreicher Lauferfahrung profitierten von dem Trainingsprogramm, so dass diese Trainingsintervention insgesamt als sinnvolle Ergänzung der antidiabetischenPharmakotherapie betrachtet werden kann. Die Erkenntnisse aus den Akuteffekten aerober Belastungsintensitäten können ein solches Laufprogramm weiter optimieren:Die Belastungssteuerung über die individuelle 4,0mmol Laktatschwelle ist offenbar eine geeignete und alltagstaugliche Methode, um einen aeroben Trainingsbereich auch bei Diabetikern sicher und vorhersehbar anzusteuern. Eine aerobe Dauerlaufbelastung bei 75%V4 im Vergleich zu 90%V4 scheint weniger kritisch hinsichtlich Anpassungen des Diabetesmanagements, da die Homöostase verschiedener metabolischer Parameter, insbesondere von Glukose-, Laktatkonzentration und Herzfrequenz, trotzlängerer Belastungsdauer weniger gestört wurde. Die Übertragbarkeit der Fahrradergometer-basierten Leitlinienempfehlungen auf entsprechendeLaufbelastungen scheint nur im niedrigeren aeroben Intensitätsbereich (75%V4) gegeben, Belastungen höherer aerober Intensität scheinen für die Laufbelastung (90%V4) einen höheren Glukoseverbrauch zu induzieren. Die aktuelle Problematik einer inadäquaten „individuellen Gesundheitskompetenz“ (Predel 2015) imalltäglichen Lauftraining zeigt sich in dieser Untersuchung bei drei Laufbelastungen von lauferfahrenen Diabetikern durch Anzeichen einer ketotischen Stoffwechsellage. Dieses unterstreicht die Notwendigkeit alltagsgerechter sportartspezifischer Untersuchungen insbesondere unter Einbezug größerer Kollektive (Cotter et al. 2014, Kraus und Latsch 2015).
OriginalspracheDeutsch
ErscheinungsortKöln
VerlagDeutsche Sporthochschule Köln
Seitenumfang170
PublikationsstatusVeröffentlicht - 2017

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