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Abstract
Zur dokumentarischen Rekonstruktion biografischer Erfahrungen in Unterrichtsbildern
Die schriftliche oder mündliche Bearbeitung unterrichtsbezogener Fälle im Rahmen von Professionalisierungsprozessen kommt an ihre Grenzen, wenn Studierende in der Auseinandersetzung mit dem Fall eher auf a-theoretisches, implizites Wissen als auf theoretisches Wissen zurückgreifen und eine methodisierte, wissenschaftliche Erkenntniskompetenz vermissen lassen (Helsper 2001). So bleibt die Fallbearbeitung oftmals an zu Unterrichtsbildern verdichteten biografischen Erfahrungen und Überzeugungen orientiert, welche sich zugleich als stark handlungsleitend erweisen (Lehmann-Rommel 2014; Lüsebrink 2014; Guardiera & Podlich 2016). Aufgabe der (Sport-)Lehrer*innenbildung ist es demzufolge, biografische Erfahrungen der Studierenden explizit zu machen, um sie im Sinne des Professionalisierungsprozesses aufbrechen und bearbeiten zu können (vgl. ebd.). Wie aber kann es gelingen, implizite Wissensbestände explizit zu machen?
Eine Möglichkeit sieht der vorliegende Ansatz in einem Wechsel der Darstellungsform der studentischen Arbeiten von der Textform zum Bildhaften. Ausgangspunkt für die Arbeit mit Bildern ist dabei die Annahme, dass Handeln im Modus der mimetischen Aneignung von sozialen Szenerien, Gebärden, Gestik und Mimik erlernt und im Medium des Bildhaften erinnert wird (Mannheim 1964). Dabei sind solche Bilder vorreflexiv und eingelassen in implizite Wissensbestände. Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Ansatz davon aus, dass Bilder Wirklichkeitskonstruktionen (hier: Fachlichkeitskonstruktionen) der abbildenden Personen dokumentieren, indem individuelle theoretische sowie implizite, biografische Wissensbestände im Bild wirken (vgl. Marotzki 2011). Im Vergleich zum Text wird ein Vorteil der Arbeit mit Bildern überdies in der Eigenheit der Ikonizität gesehen (vgl. hierzu Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014).
Vor diesem Hintergrund haben Studierende einer Lehrveranstaltung zur Vorbereitung auf das Praxissemester die Aufgabe, ihre Idealvorstellungen von Sportunterricht individuell in einer Momentaufnahme zeichnerisch festzuhalten. Die so entstehenden Unterrichtsbilder, in denen sich individuelle Handlungs- und Gestaltungspraxen dokumentieren, weisen in einem ersten Schritt eine hohe Eignung auf, Studierende in eine reflexive Distanz zu ihren eigenen ebenso wie fremden Überzeugungen zu bringen. Hier greift der methodische Ansatz Hinweise von Lüsebrink (2014, S. 449) auf die Relevanz ästhetischer Erfahrungen im Zusammenhang mit „selbstbezogenen Erkenntnisse[n] und [der] Selbstreflexivität“ für die Förderung von Reflexionsprozessen auf. Zugleich verdeutlicht die individuelle Re- und De-Konstruktion der verschiedenen Unterrichtsbilder eine Vielzahl unterschiedlicher theoretischer und impliziter Wissensbestände, die die jeweilige im Bild dokumentierte Handlungs- und Gestaltungspraxis orientieren. Diese Wissensbestände resultieren dabei aus unterschiedlichen Erfahrungsräumen wie beispielsweise dem Studium, der eigenen Sportler*innenbiografie oder der Trainer*innentätigkeit.
Im Rahmen des Beitrags soll nun neben einer Einordnung der Arbeit mit Bildern exemplarisch dargestellt werden, inwiefern es mittels der Dokumentarischen Bildinterpretation (Bohnsack 2003) methodisch systematisiert gelingen kann, die unterschiedlichen Erfahrungsräume, in die die einzelnen Unterrichtsbilder jeweils zerfallen, zu rekonstruieren. Aufgrund dessen, dass solche Erfahrungsräume Quelle theoretischen sowie a-theoretischen, impliziten Wissens sind und die Handlungs- und Gestaltungspraxis der Studierenden orientieren, ist das Ziel einer Rekonstruktion solcher Orientierungsmuster die sog. Typenbildung. Die hier eingenommene Analyseeinstellung kennzeichnet demnach einen Wechsel vom WAS zum WIE, indem es in der Bildanalyse darum geht, den modus operandi, d.h., den wissensbasierten Orientierungsrahmen der Studierenden zu beschreiben, ohne nach dessen Gültigkeit zu fragen (Asbrand 2009). Vor diesem Hintergrund veranschaulicht der Beitrag rekonstruktive Verfahren der Bildinterpretation nach Bohnsack (2003) im Rückgriff auf Panofsky (1932) und Imdahl (1979) und stellt die Möglichkeit der Typenbildung auf der Grundlage der komparativen Analyse dar. Abschließend soll das recht komplexe Verfahren sowie ein Ausblick auf eine Erweiterung um teilstandardisierte Interviews mit den Studierenden zum Zwecke der zusätzlichen methodischen Absicherung (Bonnet 2009) aus einer method(olog)ischen Perspektive kritisch zur Diskussion gestellt werden.
Asbrand, B. (2009). Wissen und Handlungskompetenz in der Weltgesellschaft. Münster: Waxmann
Bohnsack, R. (2003/2013). Die Dokumentarische Methode in der Bild- und Fotointerpretation. In: R. Bohnsack, I. Nentwig-Gesemann & A.M. Nohl. (Hrsg., 2013). Die Dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS
Bonnet, A. (2009). Die Dokumentarische Methode in der Unterrichtsforschung. ZQF 10. Jg., Heft 2/2009, S. 219-240
Helsper, W. (2001). Praxis und Reflexion. Die Notwendigkeit einer „doppelten Professionalisierung“ des Lehrers. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 3, 7-15.
Imdahl, M.: Überlegungen zur Identität des Bildes. In: Marquard, O./Stierle, K. (Hrsg.): Reihe: Poetik und Hermeneutik. München 1979, S. 187-211
Lehmann-Rommel, R. (2014). Wie mit Wertungen in Beobachtungen arbeiten? journal für lehrerinnenbildung, 1, 44-50.
Lüsebrink, I. (2014). Der Ansatz einer biografisch orientierten Fallarbeit – dargestellt an einem Beispiel aus der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 32 (3), 444-457.
Mannheim, K. (1964). Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation. In: Ders.: Wissenssoziologie. Neuwied, S. 91 - 154
Marotzki, W. (2011). Biografieforschung. In: R. Bohnsack, W. Marotzki und M. Meuser (Hrsg.). Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung. Opladen: Verlag Barbara Budrich
Panofsky, E. (1932). Zum Problem der Beschreibung in Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst. In: Logos: Internationale Zeitschrift für Philosophie und Kultur. Bd. XXI, S. 103 – 119.
Przyborski, A. & Wohlrab-Sahr, M. (2014). Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. München: Oldenburg 2014, Kap. 5.6: Rekonstruktive Bildinterpretation(en), S. 315-357.
Originalsprache | Deutsch |
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Titel | Methodologien und Methoden qualitativer sportwissenschaftlicher Forschung im Horizont von Fachlichkeitskonstruktionen : 2. Jahrestagung des Netzwerks "Qualitative Forschung in der Sportwissenschaft" vom 1.-2.- Oktober 2019 in Marburg (Lahn) |
Herausgeber*innen | Daniel Rode, Meike Hartmann, Petra Böcker, Alexander Ratzmann |
Seitenumfang | 2 |
Herausgeber (Verlag) | Netzwerk "Qualitative Forschung in der Sportwissenschaft" |
Erscheinungsdatum | 2019 |
Seiten | 23-24 |
Publikationsstatus | Veröffentlicht - 2019 |
Veranstaltung | Jahrestagung des Netzwerks "Qualitative Forschung in der Sportwissenschaft": Methodologien und Methoden qualitativer sportwissenschaftlicher Forschung im Horizont von Fachlichkeitskonstruktionen - Universität Marburg, Marburg, Deutschland Dauer: 01.10.2019 → 02.10.2019 Konferenznummer: 2 https://qualitative-forschung-spowiss.jimdofree.com/jahrestagungen/netzwerktagung-2019/ https://qualitative-forschung-spowiss.jimdofree.com/ |
Aktivitäten
- 1 Teilnahme an Workshops, Kursen, Seminaren
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Jahrestagung des Netzwerks "Qualitative Forschung in der Sportwissenschaft"
Petra Guardiera (Session-Leitung)
02.10.2019Aktivität: Teilnahme an oder Organisation einer Veranstaltung › Teilnahme an Workshops, Kursen, Seminaren › Forschung