Titel | Im Land des Seepferdchens |
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Medienbezeichnung/Outlet | Süddeutsche Zeitung |
Medienformat | Web |
Land | Deutschland |
Datum der Veröffentlichung | 16.04.22 |
Beschreibung | Schwimmenlernen von Kindern. |
URL | https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wissen/wie-lernen-kinder-am-besten-schwimmen-e857874/?reduced=true |
Personen | Ilka Staub |
Titel | Eintauchen |
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Bekanntheitsgrad | National |
Medienbezeichnung/Outlet | Süddeutsche Zeitung |
Medienformat | Druck |
Land | Deutschland |
Datum der Veröffentlichung | 16.04.22 |
Beschreibung | Nächsten Freitag ist Seepferdchenprüfung, aber Ida (Name geändert) will nicht. Sie will nicht mit dem Kopf unter Wasser den roten Ring vom Boden hochholen. Sie will nicht vom Beckenrand springen. Und erst recht will sie nicht, dass sie der Schwimmtrainer loslässt, wenn sie Eintauchen Kinder in Deutschland lernen als Erstes Brustschwimmen. Dabei sind sich Expertinnen und Experten bert Collette. Allerdings kann man damit früher beginnen als das typische Anfängeralter in Deutschland, das bei 5 bis 6 Jahren liegt. In Australien etwa, dem Land der Gartenpools, trainieren manche Eltern schon mit sehr kleinen Kindern bestimmte Bewegungen im Wasser, die sie dann im Falle eines Sturzes abspulen. Genauso wie man Einjährigen beibringen kann, Treppen rückwärts hinunterzukrabbeln, statt sich Aufwand bedeutet, aber es hätte sich geschon lange einig: Besser wäre eigentlich etwas anderes lohnt. Man stirbt schließlich nur einmal im Leben. Neben der Geburt gibt es keinen solchen existenziellen Moment. Wieder einmal hat die Gesellschaft damit gezeigt, wie wenig sie vom Sterben versteht. Am Ende könnte der einsame Tod in der Pandemie deshalb doch noch etwas Gutes haben: Das Sterben könnte besser werden, wenn es zum Thema wird. Wenn offen darüber gesprochen wird, wie viel in der Corona-Zeit schief gelaufen ist. Und um wie viel besser das Ende des Lebens sein könnte, wenn man ihm den Platz einräumt, der ihm gebührt. Ostern, dieses Fest von Tod und Leben, wäre eine gute Gelegenheit dafür. TTTTTTr-TCTTTTTTr TTTTTTT—V l_7i V_ J TTTTT7TTT tChristina Berndt ist gerne mal allein. Vielleicht auch, wenn sie stirbt. Aber dann bitte aus freiem Willen. NATURMUSEUM Folge 33 Endlich Schokolade 1687 -1689 Natural History Museum London Genau 1589 getrocknete Pflanzen brachte der britische Arzt und Naturforscher Sir Hans Sloane von einer Expedition nach Jamaika Ende des 17. Jahrhunderts nach London mit. Eine davon hat die Welt verändert, und das zum Guten: Dank ihr können Kinder an diesem Osterwochenende nach Hasen und Eiern aus Schokolade suchen. Sloane hatte nämlich Blätter und Früchte des Kakaobaums gesammelt. Er hatte auch beobachtet, dass die Einheimischen aus den fermentierten und getrockneten Bohnen einen Trank brauten, der ihm aber zu bitter schmeckte. Nach Darstellung des Natural History Museums kam Sloane deshalb auf die Idee, den Kakaotrunk mit Milch zu versetzen, letztlich auch die Grundlage für feste Milchschokolade. Allerdings widersprechen dem manche Historiker. cwb In dieser Serie erzählen wir die Geschichte der Natur in 100 Objekten. becken in München-Neuperlach von rechts nach links „schwimmen“ soll. „Nicht loslassen! Lass mich nicht los!! Auf keinen Fall loslassen!!“ schreit Ida laut, stets bereit, sich am Trainer festzukrallen, sollte er je auf die Idee kommen, seine stützende Hand unter ihrem Körper im Wasser doch ein wenig zu lösen. Die anderen sieben Kinder fröscheln währenddessen schon ganz alleine im Tiefen die Bahn entlang. Eher wie etwas hektische Hunde mit den Nasen hoch in die Luft gereckt als wie souveräne Frösche, aber immerhin. „Von solchen Gruppen, da schaffen es meistens alle bis auf ein oder zwei Kinder vielleicht“, erklärt einer der Schwimmtrainer. Mit Schaffen meint er das Seepferdchen, das zumindest emotional wichtigste Schwimmabzeichen in Deutschland, das schon die Eltern der Kinder, die jetzt im Wasser strampeln, auf ihren Badehosen trugen und mit dem man dann stolz zur Oma laufen kann: „Ich kannjetzt übrigens schwimmen!“ „Es gibt in Deutschland dazu zwei große Irrtümer, die sich sehr hartnäckig halten“, sagt Ilka Staub, die als Wissenschaftlerin an der Sporthochschule Köln erforscht, wie man schwimmen am besten lernen kann und was das überhaupt heißt: schwimmen können. „Der erste Irrtum ist, dass man mit dem Seepferdchen schwimmen kann. Und der zweite, der eigentlich hinter dem ersten steckt: dass es beim Schwimmenlemen darum geht, sich über Wasser halten zu können. Das Gegenteil ist ja der Fall: Schwimmen findet unter Wasser statt.“ Staub ist sich sicher: „Seit Jahren versuchen Experten und Expertinnen zu vermitteln, dass Schwimmenlernen auf Grundfertigkeiten aufbaut und nicht auf Schwimmtechniken. Aber in der Praxis kommt das nicht an.“ Bringt man den Kindern in Deutschland also seit Jahrzehnten falsch das Schwimmen bei? Wie ginge es besser? Und weshalb ist es so schwer, den Paradigmenwechsel umzusetzen, über den man sich in der Fachwelt lange schon einig ist? Robert Collette, der am Institut für Sportwissenschaft der Universität Mainz zur Fachdidaktik Schwimmen lehrt, formuliert es so: „Wir legen in der Praxis zu wenig Wert auf die Grundfertigkeiten und fangen stattdessen viel zu schnell mit der Vermittlung der Technik ein. Das wissen alle. Aber es dauert, das zu ändern.“ Als 2019 der Bundesverband zur Förderung der Schwimmausbildung, Kultusministerkonferenz und Sportwissenschaftler das letzte Mal zusammensaßen, traute man sich jedenfalls nicht, das Seepferdchen einfach ganz abzuschaffen. „Es hat ja auch aus emotionalen und motivationalen Gründen eine große Bedeutung für Kinder“, sagt Andreas Hahn von der Universität Halle-Wittenberg, der als Sportwissenschaftler dabei war. Stattdessen passte man die Anforderungen für das Abzeichen zum 1. Januar 2020 an und schrieb immerhin in Klammern einen entscheidenden Satz mit dazu: „Sprung vom Beckenrand mit anschließendem 25 Meter Schwimmen in einer Schwimmart in Bauch- oder Rückenlage (Grobform, während des Schwimmens in Bauchlage erkennbar ins Wasser ausatmen).“ Historisch betrachtet stehen die Grundzüge der Pädagogik des heutigen Schwimmenlernens seit ziemlich genau 100 Jahren fest. 1925 veröffentlichte der Leipziger Schwimmlehrer Kurt Wiesner eine Lehrmethode, die erstmals auf Fertigkeiten beruhte, die noch vor dem Erlernen einer Technik angesiedelt sind: Kopf untertäuchen, Schweben lernen, Gleiten im Wasser. Darauf aufbauend brachte man Anfängern dann Brustschwimmen bei, die traditionelle Anfängertechnik in Deutschland. Die Geschichte des Schwimmens selbst ist freilich viel älter, wahrscheinlich so alt wie die Geschichte des Menschen, erzählt der Sporthistoriker Michael Krüger, der an der Uni Münster Sportpädagogik und Sportgeschichte lehrt. In den Anfängen und über viele Jahrhunderte haben sich die Menschen dabei höchstwahrscheinlich an den Tieren orientiert, an den Bewegungen von Hunden, Pferden oder, klar, Schon die Frage nach der richtigen Anfängertechnik ist faul. Es geht nicht darum, wie man möglichst schnell von A nach B schwimmt Fröschen. Man geht davon aus, dass man sich damals eher mit einer Art „Paddeln unterm Rumpf“ über Wasser hielt. „Für den Menschen ist Schwimmen eine Kulturtechnik. Nicht angeboren wie Gehen, Stehen oder Laufen“, sagt Michael Krüger. In der Antike soll sich der hochkulturell gebildete Mensch über andere mit dem Ausdruck erhoben haben, jemand könne ja „weder lesen noch schwimmen“. Als Körperertüchtigung für die breite, zunächst vor allem männliche Masse wurde Schwimmen in Deutschland während der Aufklärung salonfähig. Berühmt wurde „Das Kleine Lehrbuch der Schwimmkunst zum Selbstunterricht“ (1798) des deutschen Pädagogen Johann Christoph GutsMuths, in dessen Widmung es heißt: „Bisher ist das Ertrinken Mode gewesen, weil das Schwimmen nicht Mode ist.“ Gelehrt wurde das „Turnen im Wasser“, wie es lange hieß, über Trockenübungen an Land, die man dann mit allerlei technischen Erfindungen ins Wasser zu übertragen versuchte. In Lehrbüchern findet sich oft die Abbildung der Schwimmangel, eine Art Klettergurt mit einer großen Angel daran, die jemand hält, der am Beckenrand mitläuft. Es gibt Vermutungen, dass auch militärische Gründe mitgespielt haben, dass sich das Brustschwimmen (mit Kopf über Wasser) in Deutschland so festsetzte; Bleibt der Kopf oben, behält man besser den Überblick, und es lässt sich am leichtesten eine Waffe im Wasser transportieren. Seit den 1960er-Jahren ist Schwimmen in Deutschland Pflichtsportart in der Grundschule. Doch in den vergangenen Jahren hat die Schwimmfähigkeit von Kindern wohl immer weiter abgenommen. Etwa 15 Prozent der Kinder zwischen fünf und 17 Jahren in Deutschland geben in Umfragen an, überhaupt nicht schwimmen zu können. In einer Forsa-Umfrage von 2017 schätzten rund 60 Prozent der Grundschulkinder und jeder zweite Erwachsene sich als Nichtschwimmer oder schlechten Schwimmer ein. Die Pandemie-Jahrgänge, für die Schwimmunterricht in den vergangenen zwei Jahren nur sehr eingeschränkt möglich war, fehlen in diesen Daten naturgemäß noch. Ilka Staub sagt allerdings auch, dass es schwierig ist, Schwimmfähigkeiten allein anhand von Umfragen zu erfassen und dass es stattdessen andere Methoden bräuchte. Sie selbst arbeitet gerade an einem qualitativen Beobachtungsverfahren zur Diagnostik der Lernausgangslagen, mit dem Lehrer und Lehrerinnen dann im besten Fall den Stand der Kinder besser einschätzen können. In den meisten Ländern, unter anderem auch in den Schwimmnationen USA und Australien, wird nicht wie in Deutschland Brustschwimmen als erste Schwimmtechnik gelehrt, sondern mit einer Art vereinfachtem Kraulschwimmen begonnen. Michael Krüger erklärt, dass das physiologisch auch durchaus Sinn ergebe, was vor allem am alternierenden Beinschlag des Kraulschwimmens liege, der an die natürliche diagonal gekoppelte Bewegungskoordination des Menschen anknüpft. „Wir unterscheiden zwischen erlernten und genetisch determinierten Koordinationsstrukturen. Die Beine bewegen sich beim Menschen ursprünglich alternierend und im Wechsel.“ Ein Baby im Wasser fängt deshalb an zu radeln. Der Beinschlag beim Brustschwimmen ist im Vergleich dazu sehr komplex und erstmal kontraintuitiv, er kann zum Üben schlecht in Einzelteile zerlegt werden, und es gibt keine natürliche Entsprechung der Bewegung an Land. Wenn so vieles dagegen spricht: Warum aber lernen Kinder in Deutschland dann nach wie vor als erstes Brustschwimmen? Und wäre ein Wechsel dieser Anfangstechnik der geforderte Paradigmenwechsel, von dem Robert Collette und Ilka Staub sprechen? Nicht ganz. Oder wie Ilka Staub sagen würde: „Nein, auf keinen Fall! Schon die Frage nach der richtigen Anfängertechnik ist faul.“ Denn dahinter stehe ja genau die überholte Vorstellung, dass es darum ginge, wie man Kindern beibringt, im Wasser möglichst schnell von A nach B zu kommen. Genau das aber sei der Fehler. Um es zu veranschaulichen, vergleicht sie die Situation mit einem Kind, das mit Leichtathletik anfangen möchte und dem man dann als Erstes Stabhochsprung beibringt. „Das macht kein Mensch an Land. Warum machen wir das im Wasser?“ fragt Staub. So wie ein Kind an Land erst mal laufen, rennen, springen lernen müsse, bevor man ihm eine komplizierte Leichtathletiktechnik beibringt, müssten sich Kinder erst mal ausgiebig mit dem Medium Wasser vertraut machen, bevor sie ohne Angst und nachhaltig welche Schwimmtechnik auch immer lernen können. Wenn Kinder irgendwann souverän im Wasser orientiert sind, lernen sie angstfrei und mit Freude jede Schwimmtechnik Die sechs Grundfertigkeiten, mit denen man sich stattdessen viel länger aüfhalten müsste, sind: (Unter)tauchen, Schweben (Auftrieb erfahren), Gleiten (in widerstandsarmen Wasserlagen), Atmen/Atemkontrolle (u.a. unter Wasser ausatmen), Springen, Drehen und Rollen im Wasser (Lagewechsel). „Übergeht man die Vermittlung der Grundfertigkeiten und versucht so den Lernweg zu verkürzen, nimmt man den Kindern wertvolle Erfahrungen. Auch die Sicherheit eines Kindes, dass nicht souverän im Wasser ist, trügt, selbst wenn es eine Bahn oben bleibt und ein Seepferdchen auf der Hose hat“, sagt Ilka Staub. Das Problem: Kinder über die Grundfertigkeiten ans Wasser heranzuführen, dauert deutlich länger als die üblichen zehn Stunden Seepferdchenkurs. Kinder ohne Vorerfahrungen bräuchten bei wöchentlichem Training bis zu ein Jahr, schätzt Rolernen, sich im Falle eines Sturzes im Wasser auf den Rücken zu drehen und - wegen des den Babyproportionen geschuldeten guten Auftriebs und mit der Nase nach oben im Idealfall außer Gefahr - an den Beckenrand zu floaten. „Wenn Kinder irgendwann s ouverän im Wasser orientiert sind - sich rollen und drehen können, ins Wasser ausatmen, die Augen unter Wasser öffnen - lernen sie angstfrei und mit Freude jede Technik, ganz egal ob Kraul oder Brust oder Rücken“, sagt Robert Collette. Immerhin: „Allmählich verändert sich was“, sagt Collette und verweist darauf, dass die Relevanz der Grundfertigkeiten in allen Schwimmenlem-Konzepten mittlerweile auftaucht und auch immer öfter Vorschulprojekte zusätzlich zum Schulunterricht angeboten werden. Anderseits verhindern viele vor allem gesellschaftliche Aspekte, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse besser umgesetzt werden. Neben Lehrermangel an Schulen, fehlenden Schwimmlehrern allgemein, immer weniger Schwimmflächen, geschlossenen' Schwimmbädern in der Pandemie und grundsätzlichen Problemen wie steigender Kinderarmut, spielt dabei sicher auch die Sehnsucht mancher Eltern mit hinein, das Thema auslagem und möglichst schnell abhaken zu können. Private Schwimmkurse, die das Seepferdchen nach zehn Stunden fürjedes Kind garantieren, laufen jedenfalls gut. Ilka Staub sieht noch ein weiteres Problem, das dazu beiträgt, dass die Realität so weit vom fachlichen Ideal der Sportwissenschaften abweicht. Man habe, sagt sie, über das Schwimmenlemen msgesamt noch sehr wenig evidenzbasiertes Wissen. Das Ganze sei bisher eher eine hermeneutische Disziplin, die in Theorie wie Methodik vor allem auf der Erfahrung und dem Wissen vieler Experten und .Expertinnen beruhe. Sie wünscht sich mehr konkrete Forschung zu allen möglichen Fragen, auch didaktischen. In einer Pilotstudie mit 60 Grundschulkindem versuchten Staub und ihre Kollegen und Kolleginnen zuletzt herauszufinden, ob die Befriedigung des Bedürfnisses nach Selbstbestimmtheit sich positiv auf die intrinsische Motivation auch beim Schwimmenlemen auswirkt. Die Motivation sei msgesamt erstaunlich hoch gewesen und konnte dann etwa durch die freie Auswahl zwischen verschiedenen Lemstationen im Wasser (ähnlich wie man es heute aus dem Grundschulunterricht kennt), statt von der Lehrkraft einheitlich vorgegebenen Übungen, nochwei-' ter erhöht werden. Die Schwimmstunde in München-Neuperlach endet für sieben Kinder mit Gekicher unter der warmen Dusche. Nur Ida kann sich nach ein paar weiteren Versuchen der Trainer, doch die eine oder andere vorgesehene Übung wenigstens mit Hilfsmitteln zu probieren, nicht mehr beruhigen. Mit großen Tränen auf dem Einhombadeanzug wirft sie sich in der Umkleide ihrem Papa in die Arme. |
Personen | Ilka Staub |
ID: 6597831